ZIMZUM
Eine Filmgeschichte
2016
(unveröffentlicht)
Synopsis
Der Einzelgänger Jorde Ensov, der allein in einem Haus auf einer Insel hoch im Norden lebt, zeichnet rätselhafte Pläne in ein Buch. Als er eines Tages spurlos verschwindet, bildet sich um ihn ein Mythos…
Kommentar
Die Filmgeschichte beruht auf dem Schnittbuch für den Film ZIMZUM und gibt weitgehend den Text des Erzählers wieder, der die Geschichte voice-over aus dem Off erzählt. (Das Buch wurde nach dem Dreh auf den Bild- und Tonschnitt hin geschrieben.)
ZIMZUM Schnittbuch (PDF herunterladen)
ZIMZUM
Eine Filmgeschichte
Noch vor der Zeit, bevor noch Licht und Schatten
war und Raum, hat ER, der ohne Grenze ist und
weder Rand noch Mitte hat, sich aus sich selbst
zurückgezogen, sich verringert, und ein Nichts in
sich geschaffen, und aus diesem Nichts – die Welt.
Jorde
Wer ist Jorde Ensov? Was weiß man über ihn? Eigentlich so gut wie nichts. Dass er sehr zurückgezogen lebt. Wie ein Einsiedler. Aber das ist auch schon alles. Deshalb reden auch die Leute. Weil sie es nur schwer verkraften, wenn sie nicht im Bilde sind. Und weil sie es schwer ertragen, streuen sie Gerüchte, verbreiten Unwahrheiten. Jorde Ensov hat Ideen, die er aber nie verwirklicht. Jorde träumt vor sich hin. Jorde baut im Garten Unkraut an statt Gemüse. Und dergleichen Unsinn mehr.
Jorde lebt in seiner Welt, zu der niemand Zugang hat außer ihm. Keiner weiß, was er fühlt. Was er denkt. Ob er denkt. Ob er planmäßig vorgeht, wenn er etwas in die Hand nimmt, oder einfach tut, wonach ihm ist, ohne nachzudenken. Jedenfalls bewirkt er, dass die Leute sich Gedanken machen. Über seine Eigenheiten. Dass sie sich den Mund zerreißen über dieses Durcheinander, das auf seinem Grundstück herrscht. Nicht nur um das Haus herum, auch drinnen, dort besonders.
Es wird eine Zeit kommen, und sie ist bereits gekommen, da werden Menschen in Jorde einen Meister sehen. Und sie werden jedem Pfosten, den er eingeschlagen, jedem Kern, den er ausgespuckt, jedem Teller, den er fallen lassen hat, einen Sinn, eine tiefere Bedeutung unterstellen. Doch sobald der Teller bricht, und das Fell der Erde blutet, wird sich Jordes Weisheit offenbaren als ein dunkles Licht, das die Erde überflutet. Und die Kerne in der Erde werden leuchten wie die Sterne. Und dann wird sich zeigen, wie dunkel diese Erde ist. Und wie hell Jordes Welt.
Das Land
Jorde ist ein Phänomen. Jeder hat von ihm gehört, aber niemand kennt ihn wirklich. Vielleicht ist es angebracht, über das Verhältnis, das manche Leute hier zu Jorde haben, nachzudenken. Denn so wie es aussieht, traut man Jorde Dinge zu, die sich, wenn man sie im Lichte der Vernunft betrachten würde, alle leicht erklären ließen, wissenschaftlich, meine ich. Bis auf ein paar Ungereimtheiten, die natürlich bleiben, wenn die Menschen hier versuchen, Jordes Launen zu verstehen.
Einiges an Jorde ist ja ungewöhnlich. Das ist wahr. Wieso Jorde Jorde heißt, zum Beispiel, und nicht Jordis. Irgendjemand auf dem Amt muss sich verschrieben haben, seinerzeit. Auch der Name Ensov ist bei uns ganz unbekannt. Wenn sein Vater nicht von hier war – offenbar kam er von Schottland oder Grönland zu uns herüber – hat er sich bei Jorde jedenfalls nie blicken lassen. Von der Mutter gibt es ohnehin bis heute keine Spur.
Kann es sein, dass Jorde seine Namen selbst erfunden hat? Er gilt nämlich als Erfinder. Aber das ist bereits Teil seiner Geschichte, die ich besser doch von Anfang an erzählen sollte. Wenn es einen Anfang gäbe…
Wo also beginnen? Bei dem Haus auf dem Hügel? Wo Jorde wohnt? Und in seinem weißen Kittel bis ins Tal zu sehen ist? Wenn nicht grade Nebel herrscht. Seit der letzten Flut sind die Weideflächen sumpfig, alle Brücken fortgerissen und die Furten unpassierbar. Dieses Land heißt Jordes Land. Liv hat es so genannt. Nicht, weil Jorde der Besitzer wäre, nein, sondern weil es unzugänglich ist, so wie Jorde. Liv gehört das ganze Tal, bis hinauf zu den Gletschern. Ihr gehören auch die Schafe in den Hügeln und die Quellen.
Doch sie würde niemals wagen eine Quelle einzufassen, einen Winterstall zu bauen, eine Furt aufzuschütten, ohne vorher Jorde zu fragen, was er dazu meint. Die Sache ist nur die, sie bekommt keine Antwort. Nicht einmal ein Nicken oder Kopfschütteln erhält sie, wenn sie Jorde etwas fragt. Darum bleibt hier alles, wie es ist, schon seit Jahren. Was das Kopfschütteln betrifft, so ist dazu zu sagen, Jorde schüttelt seinen Kopf, wenn auch selten, nur worüber, das weiß niemand.
Der Plan
Aber damit greife ich unserer Geschichte vor. Sie beginnt, wo Jorde lebt. Sie beginnt mit seinem Haus. Jorde lebt in einem Haus, das er schon seit Tagen leer räumt. Niemand weiß, wozu das gut ist. Irgendetwas hat er vor. Jorde handelt nicht vernünftig. Er ist unberechenbar. Gut, wenn er in seinem weißen Kittel hin und her geht, sieht es aus, als hätte er sehr Wichtiges zu tun. Einfälle hat er, ja, sicher, das ist unbestritten.
Manche vermuten, dass er in dem Haus sehr einsam war, andere glauben, dass er gut allein zurecht kam und sich völlig selbst genügte. Wurde ihm sein Haus zu eng? Warum ist er weggegangen? Und was hat es mit dem Buch auf sich, das Liv in seinem Haus gefunden und an sich genommen hat? Dieses Buch hat sie kürzlich einem Lehrer übergeben, weil es gewisse Leute an sich nehmen wollten, Jordejünger, wie es heißt. Sie verehren dieses Buch. Sie glauben, es enthält Pläne.
Es ist wahr, dass Jorde Skizzen in das Buch hinein gezeichnet hat. Sogar mit dem Lineal. Aber sind es deshalb Pläne? Dienten sie als Vorlagen? Und wofür?
(…)
Copyright © Stefan Zeiler