Anschaffung einer Matratze
Kurzgeschichte
2008
(unveröffentlicht)
Synopsis
Die Selbstreflexionen eines Knechts auf einem Landgut am Rand einer Großstadt.
Anschaffung einer Matratze
Unterm Hügel liegt die Stadt, voller Rauschen, voller Menschen, die man nicht erkennen kann, wenn man auf dem Hügel steht. Am Sonntag aber kommen die Menschen aus der Stadt den Hügel herauf und gehen hier zwischen den Bäumen herum, machen die Runde über die Wiese, schauen auf die Stadt herunter, aus der sie gekommen sind, oder gehen gleich ins Wirtshaus, das dann voll Gelächter und Besteckgeklapper ist. Nach dem Essen legen sie sich, wenn die Sonne scheint, ins Gras oder gehen in den Wald oder schauen übers Gatter nach den Schweinen, wie sie in den Suhlen liegen, wie sie im Morast wühlen nach den Eicheln und den Würmern, prall wie volle Aschesäcke.
Sonntags bleibe ich im Haus, lese in den Zeitungen, die ich vom Wirt geschenkt bekomme und die schon drei Tage alt sind und denke nach, was ich am Montag zu besorgen habe. Irgendetwas fehlt immer: Hanf für die Wasserhähne, Gummistöpsel für die Flaschen, Maschendraht, was auch immer. Ich gehe alles durch. Immer fällt mir etwas ein. Diesmal ist es Folgendes: was ich brauche, ist eine Matratze. Auch ich, der ich, wenn ich in der Küche sitze und den frischen Most probiere, einem Schaf die Klauen schneide oder Eicheln sammeln gehe in den Wald für die Schweine, manchmal vor mich hin stiere und einem Gedanken folge, der mich in die Irre führt, auch ich, der ich von Geburt an, wie mir scheint, verloren war für Geplauder und Gelächter, auch ich, der ich ausgeschlossen bin für immer also aus dem Kreis der leichthin mit dem Leben Verbündeten, der immer heiter und mutig Gestimmten und von keiner Last Bedrückten, auch ich, und gerade ich, der ich nicht zur Ruhe komme und mich nicht entspannen kann, bin Besitzer und Benützer einer sehr guten Matratze, die ich vor drei Jahren fand, oben auf dem Schutthaufen, den ich erst besteigen musste, um an sie heranzukommen, wo sie unbeschädigt lag, nicht durchnässt, nicht verschlissen, nur von grauem Staub bedeckt. Und weil es schon dunkel war und ich nichts zu tragen hatte, klopfte ich den Staub herunter und trug sie den weiten Weg von der Vorstadt bis hierher. Seitdem liegt sie in dem Zimmer, wo ich schlafe, auf dem Boden, den sie sich mit Weberknechten und mit Staubschlangen teilt, die wie aus dem Nichts entstehen, sooft man sie auch entfernt. Sie tut willig ihren Dienst, wie sie das bei jedem täte, der sich auf sie fallen ließe, ja sie dient mir wie ein Floß, das mich durch die Nächte trägt und verlässlich jeden Morgen an der selber Stelle absetzt, wo die Tiere mich erwarten, denen ich das Futter gebe, wo ich Knecht für alles bin, Zäune flicke, Holz hacke, Most mache, was auch immer. Sie ist weder hart noch weich, auch die Breite reicht vollkommen, ich kann mich nicht beklagen, doch sie passt nicht auf das Bett, das hier neulich vor dem Tor stand, jemand hat es abgestellt, und ich kann es gut gebrauchen, weil ich nämlich keines habe. (Früher, sagt der Gutsbesitzer, war hier wirklich noch ein Meer, und auch gar nicht weit von hier, gleich unterhalb der Koppel, brandete es an die Hügel, wo die Straße jetzt vorbeiführt, die die Weingärten verbindet und dem Wirt die Gäste zuführt, die den langen Fußweg scheuen, und er zeigt mir auch die Muscheln in dem weichen Sandgestein, das dort aus der Wiese ragt.)
(…)
Copyright © Stefan Zeiler