Gestreiftes Land
Kurzprosa
2007
Podium, Doppelheft 145/146, Wien 2007
Synopsis
Der Aufenthalt eines Kunststipendiaten in Italien, der auf dem herrschaftlichen Landgut seiner Gastgeber in die feudale Lebensweise einer alten, traditionsreichen Familie eingebunden wird.
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Jeden Sonntag trafen sich die Finis, die in Siena lebten, in Ginosa in der Villa, um gemeinsam dort zu essen und den Tag zu verbringen. Das Essen hieß “Kleines Frühstück“, und nach drei, vier Monaten lud Herr Fini seinen Gast, den er ab und zu besuchte (ohne ihn lang aufzuhalten), zu dem Kleinen Frühstück ein. Also zog der Stipendiat sich an dem Tag ein weißes Hemd an und plauderte, so gut er konnte, mit Herrn Fini über Rosen, Regenwetter, Wildschweine und über das schöne Steinhaus, das ihm zur Verfügung stand. Einmal kam die Sprache auf die Wirtschaft seines Landes, da musste der Stipendiat passen. Leider sprach Herr Fini fast nie über Malerei, auch nicht, als der Stipendiat bewundernd nach dem Bild fragte, welches das sonst schlicht gehaltene Foyer der Villa schmückte und das Benvenuto Fini, der Vater von Herrn Fini, seinerzeit gemalt hatte, der mit Berenson bekannt gewesen und noch mit dem Pferdewagen vors Motiv gefahren war.
Das Bild zeigte eine schneebedeckte Hügellandschaft und die schneebedeckte Stadt Siena mit ihrem gestreiften Dom. Auch die Felder hatten Streifen, weil der Schnee die Ackerfurchen nur auf einer Seite wie ein weißes Licht bedeckte. Wie oft es hier Schnee gäbe, wollte der Stipendiat wissen. Fast nie, sagte Fini, aber sein Vater habe nun einmal die Stimmung einer Winterlandschaft sehr gemocht, vielleicht weil es hier so selten schneie, und dann wandte er sich zu Herrn Riso und sie besprachen die Weinernte.
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In seinem Gemüsegarten stieß der Stipendiat beim Graben auf eine enorme Kröte. Wenn er nachts vom Malen heimkam und das Auto leise parkte, sah er manchmal nah vor sich im Lichtkegel Stachelschweine. Er ließ eine Katze in sein Haus und gab ihr Milch, da bekam die Katze Junge. Doch als er sein Auge operieren lassen musste und erst nach wochenlanger Abwesenheit zurückkam, waren alle Jungen tot und vertrocknet. Nur die Katze lebte noch. Wenn er einmal in das Dorf ging, um am Abend in der Bar fernzusehen, und dann spät den Heimweg antrat, steckte er sich Steine in die Taschen und trug einen in der Hand, weil es in den Büschen grunzte. Mäuse fing er mit Kartons, doch die Mäuse sprangen nachts aus den Kartons wieder heraus. Und auch aus den Lebendfallen konnten sie sich leicht befreien, klein und mager wie sie waren. Also nahm der Stipendiat die Katze wieder in sein Haus. Der Stipendiat trank Wein, malte viel an seinen Bildern, stellte seine Bilder im Museum der Gemeinde aus, und wurde öfters nun zum Kleinen Frühstück eingeladen.
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Copyright © Stefan Zeiler